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Vielfach verbinden selbst ausgebildete Ärzte das Auftreten der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) mit Kindern. Man kennt die betroffenen Kinder als Zappelphilipp. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, sich über längere Zeit zu konzentrieren. Dass auch erwachsene Menschen an ADHS leiden und bis ins Alter hinein davon betroffen sein können, haben nur wenige Menschen auf dem Schirm.

Nicht einmal ausreichend viele Ärzte kennen sich damit aus. So bleiben die Betroffenen oft sich selbst überlassen. Einzelsymptome wie Depressionen, Ängste oder Schmerzen werden zwar medizinisch behandelt. Sie werden bei erwachsenen oder älteren Menschen aber nicht als Teil eines größeren Problems namens ADHS erkannt. Daher werden die Auswirkungen dieser Störung beim Erwachsenen in der Regel unterschätzt. ADHS wäre auch bei erwachsenen Menschen gut behandelbar, würde sie denn erkannt.

ADHS bei Erwachsenen

Dass auch Erwachsene an ADHS leiden können, ist nicht jedem bekannt. Viele sind der Annahme, dass sich die kindliche Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung mit dem Erwachsenwerden von allein „auswächst“. Wie vor allem amerikanische Studien belegen, ist das allerdings oft nicht der Fall. Die meisten Erwachsenen, die an ADHS leiden, wissen es oft nicht einmal selbst. Schätzungsweise zwei Millionen erwachsene ADHS-Betroffene gibt es. In den meisten Fällen kommt ihnen keine fachgerechte Behandlung zugute, weil die Ursache ihrer Beschwerden oft nicht erkannt wird.

Wenn ein erwachsener Mensch an häufigen Stimmungsschwankungen sowie einer Neigung zu Chaos, Jähzorn und Impulsivität leidet, wird das als Unfähigkeit zur Selbstkontrolle wahrgenommen statt als Teil einer möglichen ADHS-Erkrankung. Beziehungsunfähigkeit und häufig vorkommende Suchterkrankungen können ebenfalls Hinweise auf ADHS-Erkrankungen sein. Doch wenn die ADHS nicht als Auslöser solcher Probleme erkannt wird, wächst der Leidensdruck der Betroffenen. Sie scheinen gescheiterte Persönlichkeiten zu sein, die weder ihre Gefühle noch ihr Leben im Griff haben und jede Beziehung durch ihr Verhalten torpedieren.

Dopaminzufuhr ist entscheidend

Die Fachwelt ist sich inzwischen einig, dass die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung auf einer Botenstoff-Störung am Dopaminrezeptor beruht. Die Störung ist in den meisten Fällen genetisch bedingt. Der Betroffene kann also nichts dafür. Dennoch herrscht in der Gesellschaft weiterhin eine kontroverse Diskussion, sobald es um ADHS-betroffene Kinder geht. Der Blick auf ADHS bei Erwachsenen oder gar bei alten Menschen fehlt. Bis zu 50 Prozent der ADHS-betroffenen Kinder sind auch als erwachsene und alternde Menschen von ADHS-typischen Symptomen betroffen.

Komplexeres Krankheitsbild

Das Problem liegt darin, dass ein „Symptom-Shift“ dafür sorgt, dass Erwachsene an anderen Begleitsymptomen leiden als Kinder. Das Krankheitsbild ist im Erwachsenenalter komplexer. Es kann eine Bandbreite aufweisen, die das Spektrum aller bekannten psychiatrischen Störungen umfasst. Entsprechend hoch ist der Leidensdruck, wenn man sich wegen Angststörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Aggressivität oder Depressionen als psychisch Kranker abgestempelt fühlt. Vor allem aber wäre ADHS gut behandelbar.

Da die Ursache der Störungen jedoch oft nicht erkannt wird, erfolgt meist nur eine symptomatische Behandlung. Diese geht am eigentlichen Problem vorbei. Dadurch werden viele erwachsene und alte ADHS-Betroffene nicht fachgerecht behandelt. Sie sind wegen ihrer Verhaltensauffälligkeiten sozial oft isoliert.

ADHS im Seniorenalter

Auf ADHS im Alter könnten Mediziner schließen, wenn es schon in der Kindheit eine ADHS-Diagnose gab. Vermutlich gehört der Betroffene zu jenen 30-50 Prozent der ADHS-Betroffenen, die bis ins hohe Alter an ADHS-Symptomen leiden. Wer bis ins Erwachsenenalter und noch im höheren Alter an ADHS leidet, weiß das oft selbst nicht.

So können Betroffene sich ihren hyperaktiven motorischen Aktivitätslevel, ihre Unkonzentriertheit, ihre Affektlabilität und Impulsivität, ihre Depressionen und Ängste, ihr mangelndes Selbstwertgefühl und ihre Neigung zum Chaos nicht erklären. Der Leidensdruck, der mit diesen Symptomen einhergeht, könnte mit der richtigen Diagnose aufgelöst werden. Doch von sich aus erzählt man als 65jähriger nicht, dass man als Kind an ADHS litt. Man sieht keinen Zusammenhang, weil ja jeder davon ausgeht, dass sich diese komplexe, aber gut behandelbare Störung nur auf Kinder bezieht.

Symptome von ADHS Betroffenen im Alter

Wenn ältere Menschen und Senioren an ADHS im Alter leiden, fallen sie durch eine Vielzahl verschiedener Symptome auf – und zwar die Folgenden:

  • mangelnde Konzentrationsfähigkeit, kurze Aufmerksamkeitsspanne
  • Sprunghaftigkeit, Vergesslichkeit, Zerstreutheit
  • erhöhter motorischer Aktivitätslevel
  • innere Unruhe, ein Gefühl des Getrieben-Seins
  • mangelndes Selbstwertgefühl
  • geistige Abwesenheit, Unaufmerksamkeit
  • Depressivität, Ängstlichkeit
  • Affektlabilität und Impulsivität
  • Stimmungsschwankungen
  • Messie-Neigung, mangelnde Organisiertheit
  • chaotisches Gefühlsleben
  • schnelle Erschöpfbarkeit, geringes Durchhaltevermögen.

Konzentrationsmangel & Co.

In der Summe macht der Betroffene keinen besonders sympathischen Eindruck. Er ist wegen seines Verhaltens mit psychosozialen Problemen konfrontiert, fühlt sich gemobbt und abgelehnt. Am Arbeitsplatz gibt es ebenfalls Probleme wegen der Unorganisiertheit und des Konzentrationsmangels. Wer einen älteren ADHS-Betroffenen zum Partner hat, leidet oft ebenfalls an Stress, Depressivität und Frustration. Die Scheidungsrate ist entsprechend hoch. Potenziert werden die erblich bedingten Probleme, wenn mehrere Familienmitglieder an ADHS leiden. Zu allem Übel kommen noch Komorbiditäten hinzu. Das impulsive und unüberlegte handeln beinhaltet eine erhöhte Unfallgefahr. Rechen- und Leserechtschreibschwäche können kaum ausgeglichen werden.

Entwickeln sich bei ADHS im Alter Tics, Süchte und Zwangshaltungen, rechnet man diese meist nicht dem Vorhandensein einer ADHS zu. Oppositionelles Verhalten und gestörtes Sozialverhalten werden als Altersstarrsinn gesehen. Außerdem besteht eine Neigung zu Schlafstörungen. Die schnelle Erschöpfung nach geringen körperlichen Belastungen kann durch spezielle Seniorenstühle aufgefangen werden. Diese beugen späteren Haltungsschäden und Schmerzzuständen vor. Doch in allen anderen Belangen wäre eine ADHS-Diagnose nötig, um die Symptome als Komplex zu behandeln und nicht einem verhaltensgestörten Charakter zuzuschreiben.

Psychosoziale Schwierigkeiten

ADHS im Alter bedeutet, dass eine hohe Gefahr für Suchterkrankungen besteht. Bis zu 50% der Alkoholiker weisen laut einer deutschen Studie eine kindliche ADHS-Historie auf. Der zuweilen exzessive Nikotinmissbrauch bewirkt, dass das Dopamin-Defizit ausgeglichen wird. Es stellt daher eine unbewusst vorgenommene Selbstmedikation der Senioren dar. Jedwede andere Sucht ist aber im Erwachsenenalter der ADHS-Betroffenen ebenso denkbar. Das chaotische Verhältnis zum Geld führt oft zu erheblichen Schulden. Die Impulsivität im Verhalten führt zu erhöhter Reaktionsbereitschaft. Damit steigt die Unfallgefahr.

In der Summe sind erwachsene ADHS-Betroffene und von ADHS im Alter betroffene Senioren unfähig zur Selbstorganisation, zur konfliktfreien Beziehungsgestaltung oder zur Teamfähigkeit. Sie sind nicht in der Lage, eine effektive Arbeitsorganisation aufrecht zu erhalten oder ihre Finanzen im Griff zu behalten. Ihnen mangelt es an einem sinnvollen Zeitmanagement und genügend Aufmerksamkeit im Straßenverkehr. Ihre Stimmungswechsel wirken sich auch bei der Kindererziehung negativ aus. Solange das Problem nicht als Folge von ADHS im Alter erkannt ist, erhalten die Betroffenen oft keine Behandlung – und wenn, dann nur symptomatisch dort, wo der größte Leidensdruck verspürt wird. Antidepressiva oder bequeme Seniorenstühle lösen nur ein winziges Problem im Gesamtbild.

Fazit

Das Leben als erwachsener und alt gewordener ADHS-Betroffener ist oft schwierig. Zugleich sind die Betroffenen jedoch sehr aktive und kreative Menschen, die sehr originell sein können. Regelkonformität ist nicht ihre Stärke, daher leben sie nach eigenen Maßstäben.

Berufsaussichten

Finden sie eine Art „ökologischer Nische“ in der Gesellschaft, können sie als IT-Spezialisten oder Medienfachleute sehr erfolgreich sein. Die Bandbreite der Wahrnehmung solcher Menschen in der Gesellschaft reicht vom Genie bis zum Wahnsinn. Sie erstreckt sich vom hochbegabten, aber zerstreuten Professor über den eloquenten, privat aber wenig selbstbewussten TV-Entertainer bis hin zu gesellschaftlich gescheiterten Existenzen, die wegen ihrer ADHS einen Misserfolg nach dem anderen erleben und sich aufgeben. Ohne eine ADHS-Diagnose verfehlen alle psychoanalytischen oder konventionellen Therapien ihre Wirkung.

Therapieoptionen

Gleiches gilt für eine Behandlung mit Neuroleptika oder Antidepressiva. Demnach finden sich unter den Senioren mit ADHS viele „Therapieversager“, die eine beachtliche Arzt-Odyssee hinter sich haben und als notorische Querulanten gebrandmarkt werden. Hilfreich sind hingegen spezifische ADHS-Programme, die auf verhaltenstherapeutische Inhalte wie Selbstorganisation und Selbstkontrolle abzielen. Wer weiß, dass er zu den Senioren mit ADHS gehört, erlebt einen Erleichterungsschub: Endlich eine Erklärung – und zudem meist eine naheliegende. Diese Erkenntnis stärkt das Selbstwertgefühl.

Austausch in der Gruppe

In Freiburg werden solche Menschen erfolgreich mit einer Gruppentherapie mit anderen Betroffenen vermittelt, sodass ihnen geholfen werden kann. Der Erfahrungsaustausch in der Gruppe gleichfalls Betroffener ist oft hilfreich. Man kann sich selbst und seinem Umfeld leichter vergeben, auf die ADHS-bedingten Probleme falsch reagiert zu haben. Ebenso erfolgreich ist im Erwachsenenalter die bei Kindern bereits bewährte Stimulanzien-Therapie. Medikamentös werden gute Erfolge mit dem Wirkstoff Atomexitin erzielt.

Die Krankenkassen verweigern allerdings oft die Kostenübernahme. Angeblich mangelt es an einer Wirkung dieses Medikaments beim Erwachsenen. Eine ADHS-Erkrankung wird bei erwachsenen oder alten Menschen häufig als Borderline-Syndrom fehlgedeutet. Es mangelt meistens an der Frage, ob in der Kindheit eine ADHS-Diagnose vorlag. Ist das der Fall, sind die Symptome meist klar zuzuordnen. Es geschieht nur beides nicht. Fakt ist aber, dass man an ADHS aus genetischen Gründen schon von Kindesbeinen an leidet. Im späteren Alter erwerben kann man diese Erkrankung nicht. Folglich sind solche lebenslang dominierenden Symptome bei erwachsenen und alten Menschen häufig auf eine kindliche ADHS zurückzuführen.